Die Individualpsychologie ist eine praxisbezogene Strömung aus der Tiefenpsychologie, die sich eng nach der Lebenssituation des einzelnen Menschen richtet. Die Individualpsychologie wurde von Alfred Adler begründet. Sie wurde aus der Psychoanalyse nach Sigmund Freud weiterentwickelt, hat mit dieser aber kaum noch etwas gemeinsam. Grundlage der Individualpsychologie bilden die drei Prinzipien:
Nach der Individualpsychologie hat jeder Mensch Minderwertigkeitsgefühle, aus denen sich Lebensleitlinien, aber auch psychische Störungen bilden können. Die Individualpsychologie als Psychotherapie umfasst die Analyse sowie die Beratung und Behandlung des Patienten. Sie wird in einer Reihe von Sitzungen beim Psychotherapeuten durchgeführt.
Die Individualpsychologie kann praktisch bei allen psychischen Störungen angewendet werden. Diese können behandelt werden, indem eine nicht bewusste Lebensleitlinie ermittelt wird und die Zusammenhänge krankhafter Denkweisen zum Vorschein kommen. Insbesondere kann die Individualpsychologie bei sozialen Defiziten eines Menschen bezüglich der Gesellschaft, der Liebe und der Arbeit geeignet sein. Die Individualpsychologie kann bei Patienten jeden Alters vorgenommen werden. Die Individualpsychologie kann aber nicht nur als Psychotherapieform bei seelischen Erkrankungen eingesetzt werden, sondern auch zu einer Lebensberatung. Eine individualpsychologische Beratung kann unter anderem bei belastenden Lebenssituationen und Gegebenheiten sinnvoll sein.
Alfred Adler, der Begründer der Individualpsychologie, arbeitete zunächst mit Sigmund Freud in Wien zusammen. Von dessen Ansatz der Psychoanalyse entfernte er sich jedoch immer mehr und schuf seine eigene Strömung der Individualpsychologie. Weiterentwickelt wurde die die Individualpsychologie insbesondere von Rudolf Dreikurs, Erik Blumenthal und Theo Schoenaker.
Die Individualpsychologie orientiert sich stark nach dem Menschen und seiner Lebenssituation. Die Grundprinzipien der Individualpsychologie sind:
Jeder Mensch wird demnach von seinen eigenen, oft nicht bewussten Zielen geleitet. Diese Zweckorientierung der Handlungen ist ein Unterschied der individualpsychologischen Lehre zu anderen Ansätzen. Die Entstehung wird darüber erklärt, dass jeder Mensch gewisse Schwächen und Mängel hat. Bei jedem Menschen entsteht daher zwangsläufig schon als kleines Kind ein Minderwertigkeitsgefühl. Es kommt durch Umstände wie eine falsche Erziehung, Familien- und Geschwisterverhältnisse, das eigene Geschlecht, soziale Faktoren, die gesellschaftliche Schicht oder auch durch eine Schwäche oder Schädigung eines Organs (Organminderwertigkeit) zustande. Die gefühlten Mängelzustände führen zu Minderwertigkeitskomplexen der Person. Daraus können einerseits psychische Störungen resultieren, andererseits bedeutet es immer auch eine Motivation, diese Missstände von Körper und Psyche zu kompensieren. Es bilden sich Ziele heraus, die der Mensch anhand von Leitprinzipien zu erreichen strebt. Die Leitprinzipien können aber zu Zwängen werden. Unter anderem werden in der Individualpsychologie diese Leitprinzipien herausgefunden, um einen therapeutischen Ansatz zu bekommen.
In der Individualpsychologie wird jeder Mensch erst einmal als frei und eigenverantwortlich beschrieben. Jeder hat seine eigenen Meinungen und Handlungsweisen. Diese entstehen schon als Kind und sind schon ab vier bis fünf Lebensjahren mehr oder weniger gefestigt. Die Sichtweisen werden kaum durch die Erlebnisse und äußeren Umstände verändert, sondern durch die persönliche Art des Umgangs mit den Einflüssen. Durch die eigene Meinung zieht der Mensch Schlüsse, die sein weiteres Vorgehen bestimmen. Eine gewisse Rolle spielt in der Individualpsychologie die Aggression. Sie äußert sich neben der eigentlichen Aggression häufig in Verhaltensweisen wie sportlicher Betätigung oder auch ganz anderen Motivationen wie Hilfsbereitschaft. Wird die Aggression zu sehr gehemmt, können Ängste entstehen.
Die Individualpsychologie betrachtet den Menschen aber immer aus einer ganzheitlichen Sichtweise. Das bedeutet, dass Körper, Seele und Geist eines Menschen eng miteinander verflochten sind. Das steht im Gegensatz zu den Annahmen von Sigmund Freud, der die Psyche in unterschiedliche Bereiche aufgeteilt hat. Der einzelne Mensch muss zudem immer als ein Bestandteil der Gesellschaft gesehen werden. Dabei haben alle Menschen zwar unterschiedliche Aufgaben in der Gesellschaft, jedoch werden diese als gleichwertig zueinander eingestuft. Mit der Individualpsychologie soll die Einbindung des Menschen in die Gemeinschaft gefördert werden. Sie betrachtet nicht nur den Menschen für sich, sondern auch das Verhältnis zu anderen Personen und zur Allgemeinheit. Die Individualpsychologie hängt mit der Soziologie und der Pädagogik zusammen.
Die Individualpsychologie wird meist mit einem einzelnen Patienten, aber auch mit Gruppen, Familien oder Paaren durchgeführt. Der Patient sitzt gegenüber vom Therapeuten oder liegt eventuell auch auf einer Couch. Wie viele Sitzungen durchgeführt werden, kann ganz unterschiedlich sein. Bei manchen Patienten reicht eine Kurzzeittherapie aus. Bei anderen Menschen ist eine größere Reihe von Behandlungssitzungen notwendig.
In den Sitzungen der Individualpsychologie wird erst eine Analyse der Lebenslage, der psychischen Probleme, der Vorgeschichte des Patienten, aber auch der Träume und der Interaktion mit dem Therapeuten durchgeführt. Durch das Gespräch und die eingehende Befragung sowie die Verhaltensbeobachtung kann der Therapeut die Zielsetzungen des Patienten herausfinden. Mit den Informationen über die Ziele kann mit dem Patienten erarbeitet werden, was er an seinen Handlungen und am Verhalten verbessern kann. Es wird geklärt, ob gegebenenfalls manche Ziele abgeändert werden sollten. Der Therapeut ermutigt den Patienten dazu, aktiv zu werden und die Lösungen in die Tat umzusetzen.
Bei der Individualpsychologie sind bisher aus der Erfahrung kaum Probleme und unerwünschte Auswirkungen aufgetreten. Es ist also davon auszugehen, dass die Individualpsychologie eine Methode ist, die kaum Risiken beinhaltet. Eine ganz sichere Aussage lässt sich hierüber allerdings nicht treffen, da es nicht genügend wissenschaftliche Untersuchungen zu der Individualpsychologie gibt.
Die Erfolge der Individualpsychologie können ebenfalls nur aus den Erfahrungen in der Praxis abgelesen werden. Es zeigt sich, dass das Verfahren schon bei sehr vielen Patienten Probleme lösen konnte und somit wirkungsvoll war. Das gilt auch für psychische Störungen aus ganz verschiedenen Bereichen. Die Individualpsychologie ist eine praxisnahe, lebensnahe und nachvollziehbare Methode, die sich sehr gut auf die jeweilige Lebenssituation des einzelnen Menschen abstimmen lässt. Die Individualpsychologie hat eine positive Herangehensweise, welche auch zugleich Lösungen für den Patienten bietet. Das kann sich gerade in der modernen Zeit als vorteilhaft erweisen.
Als Alternativen zur Individualpsychologie können sich andere tiefenpsychologische Methoden wie die Psychoanalyse anbieten. Bei spezifischen psychischen Erkrankungen und Problemen können besondere Verfahren eingesetzt werden.
Letzte Aktualisierung am 21.05.2021.