Die Fachzeitschrift PLOS ONE publizierte am 19. Juni eine Studie, in der es gelungen war, Gefühle und die mit ihnen jeweils verbundene Gehirnaktivität zu identifizieren. Durchgeführt wurde diese Studie von Forschern am Dietrich College für Geistes- und Sozialwissenschaften der Carnegie Mellon Universität. Bislang scheiterten derartige Forschungen am Fehlen objektiver Daten. Denn Menschen weigern sich entweder, offen über ihre Gefühle zu sprechen, oder sie nehmen sie selbst nicht bewusst wahr.
Um verwertbare Daten zur Evaluierung zu erhalten, wählte man den Weg über die Messung der Nerventätigkeiten im Gehirn. Hier hatten zwei Wissenschaftler der CMU, Marcel Just und Tom M. Mitchell, bereits wichtige Vorarbeit geleistet. Sie nutzen die funktionale Magnetresonanztomographie, ein bildgebendes Verfahren, das Gehirn- und Nervenaktivitäten aufzeichnen kann. Mit dieser Technologie begannen sie, die neuralen Aktivitäten bei bestimmten Gedanken über konkrete Themen aufzuzeichnen. Die so ermittelten Daten wurden als Parameter gesammelt in ein Computerprogramm eingespeist.
Auf diese Weise wurde es erstmals möglich, Gefühle zu identifizieren, ohne sich dabei auf die subjektiven Angaben der Versuchspersonen verlassen zu müssen, sagt Karim Kassam, Lehrbeauftragter für Soziales und Entscheidungswissenschaften und Leiter der aktuellen Studie. Die Methode macht es theoretisch möglich, die emotionale Antwort jedes Individuums auf beinahe jede Art von Anreiz zu ermitteln.
Eine Herausforderung für das Team war es, verschiedene Gefühlsregungen verlässlich und wiederholbar hervorzurufen. Das Vorzeigen von Filmausschnitten genügt für diese Zwecke nicht, denn bekanntlich vermindert sich die emotionale Wirkung bei jeder Wiederholungsvorführung. Die Forscher lösten das Problem, indem sie Schauspieler von der „hauseigenen“ Schauspielschule der Universität engagierten. Schauspieler sind darin geübt, sich quasi auf ein Stichwort hin bewusst in verschiedene emotionale Stadien zu versetzen.
Die Gehirne der zehn ausgewählten Schauspieler wurden nun am CMU Gehirnforschungszentrum wie bei den vorhergegangenen Versuchen mit Hilfe von funktioneller Magnetresonanztomographie, abgekürzt fMRT, untersucht. Man nannte den Versuchspersonen Stichworte und zeigte ihnen Bilder für neun Gefühle: Ärger, Abscheu, Neid, Angst, Glück, Lust, Stolz, Traurigkeit und Scham. Während die Schauspielschüler an den Gehirnstrom-Scanner angeschlossen waren, sollten sie sich mehrfach in beliebiger Reihenfolge in die betreffenden Gefühlszustände versetzen. Dabei wurden jeweils die neuralen Aktivitäten im Gehirn gemessen und versucht, diese den einzelnen Emotionen zuzuordnen.
In wechselnden Versuchsanordnungen, Tests und Gegen-Tests wurden nun Vergleichswerte gesammelt.
Die Ergebnisse überraschten das Team:
Völlig unterschiedliche Versuchspersonen reagieren jeweils auf erstaunlich ähnliche Weise. Eine weitere Entdeckung waren die ähnlichen Gefühlsintensitäten, die bei allen Versuchsläufen erzielt werden konnten. Dies gelang auch dann, wenn zur Berechnung die Aktivierungsmuster aus nur einer von mehreren Untersektionen des Gehirns herangezogen wurden. Dies legt nahe, dass die Gefühls-Signaturen nicht auf bestimmte Gehirnregionen beschränkt sind, wie man bisher annahm, sondern dass eine „Gefühlsaufwallung“ in einer ganzen Reihe von Gehirnregionen jeweils ihre charakteristischen Spuren zu hinterlassen scheint.
Das Team fand ebenso heraus, dass sich die Emotionen recht treffsicher ermitteln ließen. Am sichersten war das Computerprogramm beim "Erraten" von Glücksgefühlen, am unklarsten identifizierte es Neid. Negative und positive Emotionen verwechselte es kaum, das legt deren unterschiedliche neurale „Signaturen“ nahe. Sexuelles Verlangen war am sichersten zu identifizieren: Die damit verbundenen neuralen Aktivitäten scheinen sich von denen aller anderen Gefühle deutlich zu unterscheiden.
In der Zukunft planen die Forscher, diese neue Emotions-Erkennungsmethode auf einige interessante Probleme der Gefühlsforschung anzuwenden, beispielsweise auf das Erkennen von Gefühlen, die Individuen aktiv zu unterdrücken versuchen, und auf mehrfach und parallel durchlaufene Gefühlszustände, wie etwa die Kombination von Freude und Neid zur gleichen Zeit.
aktualisiert am 29.07.2015