Private Geheimnisse - besser für sich behalten oder lüften?
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Vom Umgang mit persönlichen Schicksalen
Beinahe jeder Mensch hat „Leichen im Keller“, Dinge, über die er nicht spricht, weder mit Vertrauten, Freunden und Angehörigen noch im Arbeitsumfeld.
Geheimnisse behalten oder lüften?
Sam von Reiche, Psychologin und Persönlichkeitstrainerin im Staat New Jersey, USA, bezeichnet solche Geheimnisse als Teil der menschlichen Natur. In einer idealen Welt, in der sich jeder sicher sein könnte, mit all seinen Fehlern und Eigenarten akzeptiert zu werden, gäbe es keine Geheimnisse. Sie wirken isolierend und machen es den Betroffenen oft schwer, souverän und authentisch zu reagieren.
Worüber Menschen ungern sprechen, sind unschöne Lebenserfahrungen wie beispielsweise
- Vorstrafen - Von Missbrauch und Gewalt geprägte Beziehungen - Abtreibung - Affairen und Seitensprünge
Über frühere Gesetzeskonflikte zu sprechen, führt im besseren Falle zu zahlreichen Fragen, schlimmstenfalls aber auch zu Ablehnung, Misstrauen oder gar dem Verlust einer Arbeitsstelle. Grund genug, Vorstrafen nicht ins Gespräch zu bringen.
Von Gewalt geprägte Beziehungen sind oft gekennzeichnet durch wiederholte Trennungen und Versöhnungen. Erfahrungsgemäß ändern sich die Verhaltensmuster des gewalttätigen Partners selten dauerhaft zum Besseren. Außenstehende kritisieren betroffene Frauen daher oft harsch: „Du bist selbst schuld, warum gehst du nicht einfach!“ Mit psychischer Abhängigkeit nicht „einfach“ fertig zu werden, wird als Schwäche bewertet - das lässt Frauen eher schweigen als das Leid zu teilen und sich Hilfe zu holen.
Ohne wirtschaftliche Absicherung und stabile Partnerschaft fühlen Frauen sich mit einer ungeplanten Schwangerschaft häufig überfordert. Doch auch ein Abbruch lässt von Angehörigen moralische Entrüstung und Ablehnung erwarten. Dazu kommen noch Selbstkritik, Trauer und Reue, die wiederum zwangsläufig zu Isolation und Schweigen führen.
Affären können vom einmaligen Seitensprung bis zu notorischem Fremdgehen reichen. Sind die Treue-Erwartungen eines der beiden Partner vom anderen grundsätzlich nicht zu erfüllen, sollte dies ehrlich zugegeben werden, denn auf Dauer werden zwei Menschen mit allzu unterschiedlichen Lebens-Konzepten nicht glücklich. Ob es dagegen sinnvoll ist, einmalige Seitensprünge zu gestehen, die die Beziehung als solche nicht in Frage stellen, steht auf einem anderen Blatt. Die Gefahr, den festen Partner tief zu verletzen, ist zu groß.
Scham, Verlegenheit und die Angst vor Isolation und Unverständnis sind die Ursachen für Geheimniskrämerei, die sogar krank machen kann. Wer zu stark leidet, sollte darüber nachdenken, sein Geheimnis zu lüften.
Vertraute und Freunde: Grundsätzlich sollten Betroffene vor einer Aussprache im eigenen Umfeld genau abwägen, welche Konsequenzen eine Enthüllung hat – für den „Geständigen“ ebenso wie für den Gesprächspartner. Wie wird die ausgewählte Person reagieren und geht es beiden hinterher besser?
Natürlich kann auch ein Therapeut aufgesucht werden: Dieser ist der ärztlichen Schweigepflicht unterworfen, sofern der Patient keine Gefahr für sich oder andere darstellt. Therapeuten sind distanzierte, erfahrene Zuhörer und können helfen: Psychologin von Reiche arbeitet beispielsweise mit ihren Klienten gezielt daran, sich selbst zu verzeihen und alte Fehler nachsehen zu lernen.
Die Anonymität einer Selbsthilfegruppe schützt nicht nur vor schmerzhafter Kritik, Enttäuschung und Unverständnis aus dem vertrauten Umfeld. Die Erfahrung, dass auch andere Menschen mit ganz ähnlichen Sorgen leben müssen, oder mit prekären Situationen im Leben nicht immer optimal zurechtkommen, hilft enorm. Das Gefühl der Isolation und der eigenen Unzulänglichkeit wird leichter überwunden, und die Betroffen lernen, sich selbst wieder besser zu akzeptieren.