Die Alkoholkrankheit (Alkoholismus, Alkoholsucht) ist eine weit verbreitete Suchterkrankung. Die Anzahl der Alkoholiker in Deutschland liegt im Bereich zwischen 1,3 und 2,5 Millionen, weltweit sollen es 140 Millionen Betroffene sein. Alkoholsucht ist unter anderem deshalb so häufig, weil Bier, Wein und Schnaps zunächst einmal sozial akzeptiert sind sowie einfach und günstig zu erwerben sind.
Auch die kurzfristigen Wirkungen von Alkohol wie die herabgesetzte Hemmschwelle erscheinen erst positiv. Alkohol ist aber an sich ein Gift, das körperliche Schäden und Erkrankungen verursacht und abhängig macht. Bei Frauen gilt der Konsum von 20 Gramm, bei Männern der Verzehr von 40 Gramm reinen Alkohols am Tag als Schwellenwert zur Alkoholkrankheit. Alkoholiker haben ein ständiges Verlangen nach Alkohol, es gibt aber verschiedene Formen der Alkoholsucht.
Die allgemeinen Grundlagen für Alkoholsucht sind durch die Gesellschaft bedingt. Alkohol ist zwar im eigentlichen Sinne eine Droge und ein Gift, gehört aber hierzulande zur Kultur und Tradition. In vielen Situationen (Feiern, soziale Anlässe, Restaurantbesuche) ist der Konsum von alkoholischen Getränken nicht bloß akzeptiert, sondern es wird oft auch noch von den Beteiligten erwartet und regelrecht forciert. Alkohol gibt es in vielen verschiedenen Varianten von Bier, Wein und Sekt über Likör, Whisky, Wodka, Schnaps bis hin zu Longdrinks, Cocktails und anderen Getränken. Gerade Mixgetränke machen es Jugendlichen einfach, auf den Geschmack zu kommen. An Alkohol ist leicht heranzukommen, es ist legal zu erwerben und oft kostengünstig.
Individuelle Faktoren können dann dazu führen, dass der Alkoholkonsum zur Sucht wird. Mit Alkohol lässt sich kurzfristig eine Erleichterung bei psychischen Schwierigkeiten erreichen. Einige Persönlichkeitstypen sind besonders gefährdet, eine Suchterkrankung zu entwickeln. Dabei spielt auch die Vererbung eine Rolle. Höchstwahrscheinlich kann eine erhöhte „Anfälligkeit" für Alkoholsucht über die Gene weitergegeben werden. Einen Einfluss hat das Umfeld des Betroffenen, denn ein ungünstiges Verhalten gegenüber Alkohol kann von Eltern oder Freunden abgeschaut werden.
Eine Alkoholabhängigkeit liegt ganz allgemein vor, wenn ein Mensch regelmäßig viel Alkohol trinkt. Mit Alkohol ist die Substanz Ethanol gemeint, die das hauptsächliche Suchtmittel in vergorenen Getränken darstellt. Die Abhängigkeit kann seelisch oder körperlich (oder beides) sein. Die Alkoholabhängigkeit verläuft bei jedem Betroffenen unterschiedlich. Oft wird den Abhängigen nicht bewusst, dass sie an dem schweren Problem leiden.
Nach dem amerikanischen Alkoholismus-Forscher Elvin Morton Jellinek können fünf Typen beziehungsweise Stadien der Alkoholkrankheit unterschieden werden:
• Alpha-Trinker (Erleichterungstrinker): Die Person trinkt Alkohol, damit psychische Spannungen verschwinden. Es kann zu einer psychischen Abhängigkeit kommen.
• Beta-Trinker (Gelegenheitstrinker): Alkohol wird im großen Ausmaß getrunken, hauptsächlich bei Feiern und anderen sozialen Gelegenheiten. Der Alkoholkonsum hat in diesem Stadium keine längerfristigen Folgen für die Psyche und für die sozialen Kontakte. Im Vordergrund stehen Gesundheitsprobleme durch das Trinken.
• Gamma-Trinker (Rauschtrinker): Gamma-Trinker können zwar über einen relativ langen Zeitraum abstinent leben, haben dann aber wieder Episoden mit sehr hohem Alkoholkonsum. Sie trinken oft auch dann weiter, wenn der Alkoholpegel schon völlig „reicht" (so genannter Kontrollverlust).
• Delta-Trinker (Spiegeltrinker): Dieser Typ Alkoholiker ist körperlich süchtig und benötigt immer wieder Alkohol, um einen Pegel zu halten, so dass er Entzugssymptome verhindert. Weil Betroffene an den Alkohol schon gewöhnt sind, fällt eine Trunkenheit oft nicht auf. Delta-Trinker können nicht abstinent sein. Körperliche Schäden aufgrund des Dauerkonsums kommen vor.
• Epsilon-Trinker (Quartals-Säufer): Betroffene trinken nur in manchen Perioden („quartalsweise") sehr stark und können dabei ihr Trinkverhalten nicht steuern (Kontrollverlust). Das ausschweifende Trinken wird über Tage bis Wochen betrieben, dann folgt wieder eine oft lange Phase der Abstinenz.
Alpha- und Beta-Trinker gelten noch nicht als Alkoholiker. Diese beiden Stadien sind Vorstufen der Alkoholsucht. Gamma-, Delta- und Epsilon-Trinker sind alkoholabhängig. Es finden sich also unterschiedliche „Karrieren" der Alkoholkrankheit. Männer sind von Alkoholsucht wesentlich häufiger betroffen, wobei der Anteil der Frauen in den letzten Jahrzehnten deutlich aufgeholt hat. Praktisch immer trinken Betroffene erst einmal aus sozialem Anlass. Durch das angenehme Gefühl beim Trinken von Alkohol kann das Verlangen immer größer werden, bis schließlich ein täglicher Bedarf bestehen kann. Ein typisches Merkmal beziehungsweise Kriterium bei einer Alkoholkrankheit ist der Kontrollverlust. Das bedeutet, dass das Verlangen nach Alkohol nicht mehr gesteuert werden kann, der Betroffene „schwach wird" und wieder trinkt beziehungsweise weitertrinkt. Versuche, eine Zeitlang abstinent zu leben oder kontrolliert zu trinken, scheitern. Ebenfalls üblich für Alkoholkranke sind die Erinnerungslücken („Filmriss", Blackout, Amnesie).
Typische Alkoholabhängige denken ständig an Alkohol, trinken heimlich, horten Getränke. Sobald eine bestimmte Zeit nichts getrunken wurde, stellen sich Entzugssymptome ein. Sie äußern sich in Anzeichen wie Unruhe, Zittern, Übelkeit. Die stärkste Ausprägung ist das so genannte Delirium (Alkohol-Delir). Um die Entzugserscheinungen zu verhindern oder zu stoppen, trinkt der Betroffene erneut zwanghaft Alkohol. Viele der Betroffenen bekommen soziale Probleme durch das ständige Trinken, können agressiv werden, ziehen sich immer weiter zurück, sie vernachlässigen andere und sich selbst. Konflikte in der Familie sind häufig, schließlich kann der soziale Halt ganz verloren gehen.
Für die Angehörigen von Betroffenen ergeben sich schwierige Umstände des Zusammenlebens. Fachleute sprechen von einer Co-Abhängigkeit. Familienmitglieder versuchen meist, den Alkoholiker zu decken. Sie müssen nicht selten die Aggressivität ertragen, leiden eventuell unter der finanziellen Belastung und der ungünstigen Situation für die Kinder, die sie großziehen müssen. Alle diese Schwierigkeiten können bei den Personen in der Co-Abhängigkeit zu Symptomen wie Nervosität, Schlafstörungen, Depressionen und körperlichen Beschwerden führen. Manchmal werden sie selbst abhängig.
Der anhaltende Konsum von Alkohol kann zu schweren organischen Schäden führen. Wohl jedem bekannt ist die mögliche Entstehung einer Leberverfettung und einer Leberzirrhose (knotiger, narbiger Umbau von Lebergewebe). Im Gehirn kann Alkohol ebenfalls Schäden anrichten. Intelligenzminderung und psychische Auffälligkeiten können die Folge sein. Der Betroffene kann eine veränderte Persönlichkeit, Wahnvorstellungen, Halluzinationen oder Ängste bekommen und geistig-seelisch träge werden. Weitere körperliche Auswirkungen können eine Bauchspeicheldrüsen-Entzündung (Pankreatitis), Herzmuskelentzündung (Myokarditis), verschiedene Arten von Krebs, ein geschwächtes Immunsystem oder Nervenschäden sein. Insgesamt ist Alkohol die dritthäufigste Todesursache, die vermieden werden kann, nach Rauchen und Fettleibigkeit. Lebensbedrohlich werden meist die Folgeerkrankungen. Im Übrigen bergen Unfälle unter Alkoholeinfluss ein Verletzungs- und Sterberisiko.
Um eine Alkoholabhängigkeit festzustellen, führt der Arzt ein Gespräch mit dem Patienten (Anamnese). Wesentliche Punkte sind die Frequenz und Menge des Alkoholkonsums und die soziale Situation des Patienten. Es finden sich auch spezielle Fragebögen zur Diagnose der Alkoholabhängigkeit.
Folgende Kriterien gehören zu den Anzeichen einer Alkoholsucht:
Eine körperliche Untersuchung ist ebenfalls notwendig. Der Arzt achtet auf Anzeichen für alkoholbedingte Schäden des Körpers, auf Symptome des Alkoholkonsums und eventuell des Entzugs sowie auf das Verhalten des Patienten. Des Weiteren kann eine Blutuntersuchung aufschlussreich sein.
Das Ziel einer Therapie der Alkoholkrankheit ist es immer, dass der Betroffene von nun an komplett auf Alkohol verzichtet. Therapieversuche mit kontrolliertem Trinken sind meist erfolglos, häufig werden die Patienten rückfällig.
Die Alkoholsucht-Behandlung kann ambulant (bei einem niedergelassenen Therapeuten) oder stationär (in einer Klinik) stattfinden. Die Behandlung besteht in der Regel aus vier Phasen. Es beginnt mit der Kontaktphase, in der der Betroffene sich bei einem Arzt oder einer Beratungseinrichtung vorstellt. Hier ist es eventuell noch möglich, dass der Betroffene eigenständig sein Verhalten ändert. In diesem Abschnitt findet auch die Diagnose statt. Falls notwendig, folgt die Entzugsphase (auch: Entgiftung). Der Patient wird vom Alkohol ferngehalten, was aber immer unter ärztlicher Aufsicht geschieht, so dass bei starken Entzugserscheinungen (z. B. Delir) eingegriffen werden kann. Die dritte Phase ist die Entwöhnungsphase. Dabei wird der Verzicht auf Alkohol stabilisiert. Eine Psychotherapie oder Soziotherapie über einige Monate kann dazu sinnvoll sein.
Medikamente gegen die Alkoholabhängigkeit können auch zum Einsatz kommen. Sie dienen aber nur der Unterstützung. Das Mittel Acamprosat hemmt den Drang zum Alkohol, während das Medikament Disulfiram bei gleichzeitigem Alkoholkonsum zu schlecht zu ertragenden körperlichen Erscheinungen führt und deshalb das Trinken unattraktiv macht. Mit Benzodiazepinen (eine Art von Beruhigungsmitteln) können Entzugserscheinungen gemildert werden.
Die letzte Phase stellt die Nachsorge dar. Der Patient geht wieder in sein gewohntes Umfeld und benötigt dabei Hilfe, Betreuung und Kontrolle. Das geschieht z. B. durch Ärzte oder Beratungseinrichtungen. Selbsthilfegruppen (Anonyme Alkoholiker) können eine Hilfe bei der Therapie und bei der Alkoholabstinenz bieten. Der Betroffene selbst und seine Angehörigen können dafür sorgen, dass ein Rückfall vermieden wird. Besonders wachsam sollten sie sein bei Gelegenheiten, bei denen alkoholische Getränke leicht zu bekommen sind, wie beispielsweise Feste oder Gaststättenbesuche. Die Abstinenz ist unbedingt immer einzuhalten: schon das eine Gläschen zum Genuss oder das eine Feierabendbierchen können der Anfang einer erneuten Phase mit unkontrolliertem Trinkverhalten sein. Außerdem sollten Angehörige darauf achten, dass psychischer Stress auf den trockenen Alkoholiker vermieden werden sollte, damit er nicht wieder zur Flasche greift.
Die Prognose ist unterschiedlich und hängt von verschiedenen Faktoren ab. Insbesondere kann es ausschlaggebend sein, wie weit die Beeinträchtigung des Körpers und der Seele durch den langen Alkoholkonsum schon fortgeschritten sind. Deshalb gilt, dass eine Behandlung so früh wie möglich durchgeführt werden sollte. Viele Alkoholiker schaffen es, trocken zu werden.
Um den Erfolg auf lange Sicht zu erhalten, ist eine gewisse Eigenmotivation notwendig. Weniger als die Hälfte schafft es, dauerhaft vom Alkohol fernzubleiben. Trockene Alkoholabhängige können aber jederzeit rückfällig werden, auch noch nach vielen Jahren.
Das bedeutet aus einer medizinischen Sichtweise, dass die Alkoholkrankheit nur aufgehalten werden kann und eine eigentliche Heilung nicht möglich ist. Unbehandelte Alkoholkranke tragen ein hohes Risiko für ihre Gesundheit, denn die Lebenserwartung ist aufgrund der vielen möglichen schweren Gesundheitsschäden deutlich herabgesetzt.
Die beste Therapie ist es, eine Krankheit gar nicht erst entstehen zu lassen. Das gilt uneingeschränkt auch für die Alkoholabhängigkeit. Menschen können selbst darauf achten, ob ihr Trinkverhalten droht, außer Kontrolle zu geraten. Sie können dafür sorgen, dass sie bewusst nicht viel Alkohol trinken, niemals bei der Arbeit Alkohol trinken und auch niemals ganz alleine zum Glas greifen. Es kann sinnvoll sein, jeden getrunkenen Alkohol genau zu protokollieren und damit das Risiko abzuschätzen. Angehörige und Freunde können die Person unterstützen und auf sie Acht geben.
Falls sich der Betroffene nicht selbst aus der drohenden Sucht befreien kann, sollte er sich zu einem Arzt oder einer Beratungsstelle begeben.
Letzte Aktualisierung am 20.05.2021.